Das Staustundensoufflé fällt in sich zusammen
Ein neuer Artikel zeigt, dass es bei der Erhebung von Staustunden grosse Fragezeichen gibt. Als Grundlage zur Entscheidungsfindung dienen die Daten schon mal nicht.
Im Abstimmungskampf um den Autobahnausbau argumentierte der Bundesrat mit Staustunden, die in kurzer Zeit massiv angestiegen seien. Sie seien alleine von 2022 auf 2023 um 22 Prozent angestiegen. Manchmal konnten wir sogar von einer Verdoppelung innert weniger Jahren lesen. Das ASTRA schrieb in einem Communiqué im Sommer vor der Autobahnabstimmung, dass die Belastungsgrenze erreicht sei. Eine schöne Herleitung für einen Kapazitätsausbau!
Nur: Die Zahlen waren bereits in der Auseinandersetzung um die Autobahnprojekte umstritten. Die Zahlen der Verkehrszählstationen belegten, dass der Verkehr auf den Autobahnen seit Jahren gar nicht mehr zunimmt. Gleich viel Verkehr und ein unglaublicher Anstieg der Staus, das musste stutzig machen. Das Bundesamt für Statistik wies immerhin bei der Publikation darauf hin, dass ein Methodenwechsel und eine bessere Erfassung «einen Teil des Anstiegs» bewirkten. Im Abstimmungskampf wurde das von den Befürworter*innen des Autobahnausbaus geflissentlich weggelassen.
Schlechte Daten bei Stausituation
Jetzt belegt ein Artikel von Avenir Suisse mehrere Schwachstellen der heutigen Zählung der Staustunden und fasst die Situation mit dem schönen Bild zusammen: «Punkto Stausituation herrscht in der Schweiz Blindflug». Im Artikel werden insbesondere folgende Punkte kritisiert:
- Die Staustunden sagen nichts über die Anzahl Personen, die im Stau stecken.
- Die Staustunden werden manuell erfasst, es gibt keine flächendeckenden Zahlen.
- An Orten, wo eine automatische Zählung stattfindet, ist keine Zunahme feststellbar.
- Die Extrapolierungen einmal erhobener Zahlen sind fragwürdig.
- Mit einer neuen Methode wurde neu die Sicht der Verkehrsteilnehmer*innen und nicht mehr des Verkehrssystems eingenommen. Dadurch werden Tempominderungen als Nachteil bewertet, obwohl sie für das Gesamtsystem vorteilhaft sein können.
- Die Definition eines Staus als gefahrene Geschwindigkeit 65 Prozent unter der Referenzgeschwindigkeit ist umstritten.
- Es ist unklar, wie gross der Anteil der Staus auf den Autobahnen am Gesamtstau auf der Strasse ist.
Zum Glück hat die Stauargumentation nicht verfangen. Sonst wäre der Ärger grösser als das Staunen über die schlechte Datenbasis. Die Erhebung von Daten, die Vergleichbarkeit, deren Robustheit und natürlich die Interpretation, wie sie in Mediencommuniqués oder Auswertungen geschieht, ist eine Grundlage für Entscheidungen.
Wir sollten darauf vertrauen können, dass offizielle Stellen Daten die Situation transparent und sachlich darstellen und zum Beispiel Änderungen in der Erhebung immer auch klar machen. Dank einer Interpellation kann sich der Bundesrat jetzt auch seine Gedanken dazu machen.
Michael Töngi
Nationalrat LU