Stau ist nichts Tolles. Stau ärgert, man kommt nicht pünktlich ans Ziel und vertrödelt Zeit. Was Bundesrat Rösti aber nicht wissen will: Seit Jahrzehnten bauen wir in der Schweiz die Autobahnen aus und seit Jahrzehnten nehmen die Staus nicht ab. Sie bleiben konstant und hartnäckig. Das einzige, was wir seit Jahrzehnten machen, ist das Verschieben das Staus von einem Flaschenhals zum nächsten.  

Der schon etwas ältere Spruch «Wer Strassen sät, erntet Verkehr» ist keine grüne Ideologie, sondern Standard in der Mobilitätsforschung. Dort nennt sich das Phänomen «induzierter Verkehr». Werden Strassen ausgebaut, so macht dies das Autofahren attraktiver und der Verkehr nimmt zu. Die Leute pendeln weiter. Das mag volkswirtschaftlich einen Nutzen bringen, aber gesamthaft sitzen sie genau gleich lang im Auto. Oder sie fahren weiter für ihre Freizeitvergnügen und fahren längere Distanzen zum Einkaufen – es ist ja alles so rasch erreichbar – ausser, oh Schreck, man steckt im übernächsten Stau. 

Wie es funktioniert, erklärt zum Beispiel Prof. Dr. Alexander Erath, der an der Fachhochschule Nordwestschweiz zu Mobilitätsfragen lehrt, am 5. Februar in einem Webinar. Und Beispiele in den USA zeigen, wohin auch Ausbauten bis auf 6 oder 8 Spuren, wie jetzt in der Schweiz geplant, führen: Es können auch 26 Spuren wie in Houston sein, doch der Stau besteht noch immer. Und eben: Er wird noch länger.  

Mittlerweilen wissen wir auch, dass das Gegenteil den Praxistest besteht: Abbau von Fahrbahnen führt zu weniger Verkehr. Auch hier gibt es einen schönen Begriff – «Verkehrsverdunstung». Dabei nimmt der Verkehr stärker ab, als der konkrete Spurabbau vermuten liesse. Natürlich braucht es dabei auch flankierende Massnahmen und gute Angebote zum Umsteigen. Dann bleibt die Verkehrsbelastung auf der Strasse auch nach einer Baustelle dauerhaft tiefer.  

Bundesrat Rösti kann noch so lange Staustunden und Milliardenkosten vorrechnen. Auch der Ausbauschritt 2023, über den wir dank des erfolgreichen Referendums dieses Jahr abstimmen, wird sie nicht zum Verschwinden bringen. 

Bemerkenswert ist ebenfalls Bundesrat Röstis Aussage zum Öffentlichen Verkehr in demselben Artikel im Tagesanzeiger: «Es ist nicht möglich, den ÖV stärker auszubauen.» Er rechtfertigt damit den massiven Ausbau der Infrastruktur für den MIV. 

Ob er mit der Aussage technische, politische oder finanzielle Hürden anspricht, bleibt ungeklärt. Klar ist aber: Bei Bundesrat Rösti fehlt vor allem eines: Der politische Wille. Wenn der Modalsplit verändert werden soll, so wie es die Pläne des Bundesrates vorsehen, dann braucht es einen besseren Öffentlichen Verkehr, gerade auch für Teile der Bevölkerung, die heute keinen oder einen schlechten Zugang haben.  

Denn in Bezug auf Klimafreundlichkeit und Energieverbrauch übertrifft der öffentliche Verkehr den motorisierten Individualverkehr deutlich: Über 75 Prozent der CO2-Emissionen stammen von Personenwagen oder Motorrädern. Zudem brauchen öffentliche Verkehrsmittel weniger Energie und Platz.  

Der aktuelle Anteil des öffentlichen Verkehrs am Gesamtverkehrsaufkommen in der Schweiz, auch bekannt als Modalsplit, variiert je nach Bewertungsgrundlage zwischen 13 Prozent (bezogen auf die Anzahl der zurückgelegten Wege) und 28 Prozent (gemessen an den zurückgelegten Distanzen). Dieser Wert hat sich in den letzten 15 Jahren kaum vergrössert. Mit Albert Rösti bleibt das wohl so.  

Michael Töngi
Nationalrat LU